Juckreiz Vortrag Frau Prof. Schneider Leitende Oberärztin Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie UKM Münster

Juckreiz wird definiert als eine unangenehme Sinneswahrnehmung, die zum unstillbaren Verlangen führt, zu kratzen. Er kann als Schutzfunktion der Haut natürlich vorkommen, um beispielsweise Brennnesseln oder Parasiten zu entfernen, aber auch als Symptom von Hauterkrankungen und anderen Krankheiten, die nicht primär die Haut betreffen.


Juckreiz ist natürlich auch ein sehr belastendes Symptom, für ganz viele Erkrankungen wirkt er sich nicht nur biologisch-organisch aus, sondern sondern hat auch andere Einflüsse. Die Psyche wirkt auf das Symptom und umgekehrt, außerdem ist der soziale Bereich (Gesellschaft, Familie, Umfeld) auch betroffen. Deshalb muss auch in der Behandlung versucht werden, möglichst viele Aspekte im Blick zu haben. Schon die Vorstellung oder jemanden beim Kratzen zu beobachten kann Juckreiz auslösen, er kann also quasi „ansteckend“ sein wie das Gähnen, auch Stress kann den Juckreiz verstärken. Auch Erwartungen spielen eine gewisse Rolle, während Ablenkung helfen kann. Sich selbst sehr ängstlich zu beobachten und genau auf alles zu achten und schon bestimmte Gedanken und Vorstellungen können Juckreiz verstärken; die Psyche kann also die Wahrnehmung beeinflussen.

Umgekehrt kann sich Juckreiz auch auf die Psyche auswirken und zu Schlafstörungen, Unruhe, Verzweiflung oder Rückzug führen. Wenn man sich zurückzieht wird man seltener eingeladen, auch die Hautveränderungen führen zu Rückzug und Stigmatisierung.

Die Psyche erfährt eine starke Beeinflussung durch den Juckreiz, Betroffene leiden häufiger an Depressionen, Angstzuständen und Selbstmordgedanken. In vielen europäischen Ländern sind bis zu 14% der Patienten mit Juckreiz von Depressionen betroffen, aber nur 5,7% der Patienten mit Hauterkrankungen ohne dieses Symptom; für Angstzustände und Suizidgedanken sieht es ähnlich aus. Juckreiz wird also im Vergleich als besonders belastend wahrgenommen. Betroffene befinden sich in einem Teufelskreis:

Wo kann ich hier Einfluss nehmen?

Dass Unruhe und Schlafstörungen zu Niedergeschlagenheit und Verzweiflung führen, ist nachvollziehbar: wenn man müde ist, hat man weniger Reserven, mit dem Juckreiz fertig zu werden. Wenn Betroffene außerdem schon viel probiert haben oder lang mit Juckreiz konfrontiert sind, sind sie verzweifelt. In der Psychologie gibt es ein Modell, das helfen kann, diesen Zusammenhang zu durchbrechen. Es wird

auch in der Verhaltenstherapie eingesetzt und beschreibt den Einfluss eigener Gedanken – es handelt sich

um das

ABCDE-Modell nach Ellis (Abbildung entnommen aus Wikipedia)

Wenn eine betroffene Person also richtig schlimme Gedanken in Bezug auf Juckreiz hat und diese gegebenenfalls auch generalisiert, statt den Moment zu betrachten, kann es zu  Gefühlen von Hilflosigkeit, Verzweiflung, Rückzug und Kratzen kommen. Das läuft ganz automatisch ab, der Juckreiz bestimmt Gedanken, Überzeugungen und Gefühle. Hier kann es helfen, die aktuellen Gedanken in Frage zu stellen:

Ist das denn wirklich meine bisherige Erfahrung? Hört das wirklich nie auf oder kann ich da Einfluss nehmen, wird es irgendwann besser? Dann kann es zur Erkenntnis kommen, dass der Gedanke nicht so ganz zutreffend ist und nur dazu führt, dass ich mich schlecht fühle. Die ungünstigen / unzutreffenden Gedanken zu reflektieren und durch realistischere Einschätzungen zu ersetzen, kann also eine Hilfe dabei sein, sich selbst etwas aus dieser Abwärtsspirale rauszuziehen. Im Optimalfall hilft natürlich eine medizinische Therapie des Juckreizes, diesen möglichst zu lindern oder

dessen Ursachen zu beseitigen – wenn das aber nicht der Fall ist oder die Medikation noch nicht so lang gegeben wird, kann dieses Modell dabei unterstützen, den Juckreiz besser zu bewältigen..

Folgende Sätze könnten Teil eines inneren Selbstgespräches sein:


Negative Selbstgespräche können Juckreiz verstärken.

Das Jucken wird immer schlimmer. Es wird wieder vorübergehen.

Ich kann es nicht mehr aushalten. Ich werde dem Juckreiz standhalten und

mich nicht kratzen.

Ich bekomme heute Nacht keine ruhige

Minute.

Ich sollte mit jemandem reden, um mich

abzulenken.

Das Jucken macht mich noch verrückt. Die Haut bleibt heil.

Was ich probiere, es hilft ja doch nichts

gegen das Jucken.

Ich sollte meine Hände beschäftigen.

Meine Haut sieht morgen bestimmt wieder

schrecklich aus.

Ich sollte versuchen, mich zu entspannen.


Positive Selbstgespräche

können helfen, dem Juckreiz

entgegenzuwirken.

 

 

Es wird wieder vorübergehen.

Ich werde dem Juckreiz standhalten und

mich nicht kratzen.

Ich sollte mit jemandem reden, um mich

abzulenken.

Die Haut bleibt heil.

Ich sollte meine Hände beschäftigen.

Ich sollte versuchen, mich zu entspannen.

 



Das Modell soll hier die schlimme Erfahrung nicht bagatellisieren, sondern kleine Hilfen an die Hand geben, mit der Situation umzugehen.

Niedergeschlagenheit und Verzweiflung führen zum sozialen Rückzug, was bedeutet, dass weniger Ablenkung und mehr Fokus auf den Juckreiz bestehen. Dass es Betroffenen mit sichtbaren aufgekratzten Hautstellen schwer fällt, in die Öffentlichkeit zu gehen, ist nachvollziehbar. Situationen, die uns Angst machen, versuchen wir zu meiden – hier besteht die Angst davor, angestarrt zu  werden. Durch diese Vermeidung haben Betroffene allerdings auch weniger Kontakte, Ablenkung und positive Bestätigung von außen, was dazu führt, dass das eigene Verhalten noch unsicherer und das Selbstbild schlechter wird. Um diesen negativen Kreis zu durchbrechen, ist es wichtig, Situationen, vor denen man Angst hat – soweit keine objektive Gefahr besteht – möglichst nicht zu vermeiden. Durch die Konfrontation kann man

erkennen, dass es gar nicht so schlimm ist, und hat ein Erfolgserlebnis.

Außerdem sollte man sich im Klaren sein, dass Kratzen eine ganz automatische Reaktion auf das Jucken ist. Es ist eigentlich schon vorprogrammiert und macht physiologisch Sinn. Die Haut soll durch das Loswerden von Dingen, die nicht dort hingehören, geschützt werden. Dem Kratzimpuls zu widerstehen, ist deshalb nicht leicht. Wenn der Juckreiz erfolgreich behandelt werden kann und abnimmt oder verschwindet, wird auch das Kratzen in der Regel weniger. Negative Reaktionen auf das Kratzen lösen oft Schuldgefühle oder Niedergeschlagenheit aus, weshalb es wichtig ist, dieses Wissen im Kopf zu behalten. Auch dafür, vielleicht doch noch entgegenzuwirken, ist das Verständnis, wie der Kratzimpuls ausgelöst wird, wichtig. Kurzfristig wird der Juckreiz durch Kratzen vermindert – langfristig führt es allerdings zu Entzündungen der Haut, was den Juckreiz und den Kratzimpuls verstärkt. Das Kratzen kann sogar so automatisiert sein, dass es auch passiert, wenn die Haut nicht juckt.

Um das Kratzen zu vermeiden, ist es am besten, etwas anderes zu machen – einfach nicht zu kratzen ist sehr schwierig. Unter Anderem kann es helfen, die Hände anders zu beschäftigen (Stricken, Basteln), zu telefonieren, Bekannte zu treffen, sich zu entspannen oder Kühle vorzustellen (Muskelentspannung, Rückwärtszählen, in die Sauna gehen, Atemübungen, kühlen, an die frische Luft gehen). Außerdem kann der Versuch, andere Gewohnheiten aufzubauen wenn man merkt, dass man kratzen will, hilfreich sein.

Zum Beispiel kann man alle Muskeln anspannen, die juckende Stelle drücken und wieder loslassen, ein kühles Handtuch auflegen, sich auf die Hände setzen (hilft nur kurzfristig), andere bitten, aufs Kratzen aufmerksam zu machen oder das Kratzen beobachten. Nachts ist einiges davon so nicht möglich, für diese Situation könnte man eine Entspannungsübung lernen oder Imagination runterladen oder sich Kühle vorstellen. Wenn die Hilfen, die man selbst ausprobieren kann, nicht ausreichen oder sich ausgeprägte Niedergeschlagenheit und Ängste einstellen, muss man nicht alleine mit der  Situation klarkommen, sondern kann sich professionelle Hilfe suchen.

Das niedrigschwelligste wäre, im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung mit dem Hautarzt oder dem Hausarzt zu sprechen, die Behandlung kann man aber auch intensivieren.

Im ambulanten Bereich gibt es psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für

Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie , die man besonders bei sehr großer psychischer Belastung, anhaltender Niedergeschlagenheit oder Gedanken an Selbstverletzung

aufsuchen sollte. Um einen Termin zu bekommen, was nicht immer einfach ist, kann man sich an die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung wenden. Außerdem gibt es auch psychosomatische Ambulanzen oder Kliniken, die in einem solchen Fall weiterhelfen können. 

Mitschrift eines Vortrages von  Amelie Weydringer

Korrektur gelesen von Frau Prof. Schneider

www.ukm.de/kliniken/psychosomatische-medizin-psychotherapie

Leitende Oberärztin

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

 

Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. R. Conrad, MBA
Universitätsklinikum Münster (UKM)
Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A9 bzw. A9a
48149 Münster
Tel:  0251 83 52902 / 52904
Fax: 0251 83 57815
Gudrun.Schneider@ukmuenster.de
www.ukm.de

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