Der Juckreiz-Kratzzirkel

Wir kratzen, weil wir wollen dass der Juckreiz aufhört – im Endeffekt machen wir dadurch aber aller nur schlimmer. Die Nerven, die in der Haut enden, hören ganz weit oben auf, sie liegen fast direkt darunter. Wenn man mit den Fingernägeln darüberkratzt werden sie gereizt, es blutet und schmerzt, hemmt aber tatsächlich in dem Moment den Juckreiz.  

Kratzen kann zu einer Gewohnheit werden, es erfolgt eine Klassische Konditionierung. Ähnlich wie beim Pawlowschen Hund, der mit dem Läuten eines „Futterglöckchens“ beginnt zu sabbern – nach einer gewissen Zeit sogar ohne Futter. Es gilt das Hebbsche Gesetz: Wenn zwei Stellen im Gehirn gleichzeitig gereizt werden, verknüpfen sie sich – beispielhaft hierfür ist ein Baby  auf dem Wickeltisch. Nach einem Neurodermitisschub zeigt sich oft, dass es beginnt sich an den Beinen zu kratzen wenn ihm die Hose ausgezogen wird, während der Zeit des Schubs wurden die beiden Reize verknüpft und die Reaktion wurde zu einer Gewohnheit. Zu jeder Situation gehört ein bestimmtes Verhalten, jedoch lassen sich Gewohnheiten löschen, indem man einen der beiden Reize wegnimmt. Man kann entweder die Situation beibehalten und das eigene Verhalten ändern oder andersherum. Wenn sie zuhause immer in die Süßigkeitenschublade greifen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder laufen sie einen anderen Weg, oder sie stellen einen Obstteller dazu und bedienen sich daran und nicht mehr an der Schokolade. Eine Ausnahme bildet das Rauchen, diese Sucht lässt sich nicht so einfach abstellen.

Stress wirkt sowohl auf den Juckreiz als auch auf das Kratzen. Er senkt die Juckreiz-Schwelle, was bedeutet dass wir im Stress empfindlicher sind.  Einige Patienten vertragen auch gewisse Lebensmittel nur ohne Stress, wenn sie sich in einer stressigen oder belastenden Situation befinden reagieren sie darauf.   

Wenn man sich im Stress befindet, wird mehr gekratzt – die kurzfristige Konsequenz des Kratzens ist, dass der Juckreiz verschwindet, was von den Betroffenen als befreiend, erlösend, erleichternd und entspannend empfunden wird.

Daraus resultiert die operante Konditionierung, die „Kratzer“ lernen am Erfolg und bekommen eine Belohnung. Das „Stresskratzen“ koppelt sich von der Situation ab und gewinnt eine Eigenfunktion, es bringt sie runter. Patienten, die dazu neigen, könnten als „Entspannungs-und-Belohnungskratzer“ bezeichnet werden. Kinder hingegen kratzen oft, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Langfristig jedoch ist das Kratzen für Betroffene nicht so positiv.  Im ersten Moment ist es ein super Gefühl, danach stellen sich jedoch oft Frust und Scham ein. Auf das Kratzen folgt dann meist eine „Selbstbeschimpfung“.  Der Körper ist schneller als Kopf, deshalb kratzen wir, obwohl wir es eigentlich ja besser wissen und denken nicht an die Folgen.  Selbstbeschimpfung ist nicht hilfreich, außer sie sind Meister und kratzen danach nie mehr. Sehr deutlich wird es bei Ängsten.

Es gibt einige Anhaltspunkte, die ihnen helfen, das Kratzen einzuordnen und bestenfalls zu beenden.

1.       Ist das Kratzen eine Gewohnheit?

2.       Habe ich Stress? Wenn ja, wodurch wird er ausgelöst?

3.       Dient das Kratzen zur Beruhigung?

4.       Versuchen sie, sich nicht selbst fertigzumachen!

 

Außerdem gibt es einige Kratzalternativen, die sie davon abhalten, die Haut zu schädigen.

-          Kälte (nasser Waschlappen, kaltes Wasser), Schwarztee, Wassersprays

-          Klopfen, Zwicken, mit dem Nagel drücken bringt die Juckreizhemmung durch den Schmerz, aber die Haut bleibt zu und wird nicht blutig gekratzt

-          Ball bereitlegen und damit klopfen oder massieren

 

Kratzklötzchen sind keine allzu gute Alternative, weil man dann – zwar nicht auf der Haut aber   in der Tasche – weiterkratzt!

Eine weitere Möglichkeit ist Ablenkung.  Wenn ich beispielsweise im Bett kratze stehe ich wieder auf und mache etwas im Haushalt, oder bleibe liegen und kühle die Haut.  Auch autogenes Training kann als Entspannungsverfahren bei Juckreiz dienen, wenn man sich vorstellt dass es kalt wird statt warm, das muss aber sehr gut geübt werden. Auch Gelnägel, die zu weich sind um damit zu kratzen, können von Nutzen sein.  Ein selbstgenähter Anti-Stress-Ball aus Leinsamen, aus dem das Öl austritt und auf der Haut verteilt werden kann wenn man darauf herumdrückt, ist eine mögliche Lösung. 

Man muss sich durch verschiedene Alternativen durchprobieren und für sich entscheiden, was am hilfreichsten ist.

Falls etwas nicht klappt, sollte man sich nicht darüber aufregen oder zu viel darüber nachdenken, denn Faktoren wie das richtige Timing spielen ebenfalls eine Rolle, und einmal ist keinmal.

Wichtig ist, so früh wie möglich mit der Kratzalternative zu beginnen – bereits wenn man weiß oder merkt, dass man in nächster Zeit anfangen würde, ist der Zeitpunkt dafür gekommen.

Die Verknüpfung Juckreiz und Kratzen ist zu Beginn viel größer als Juckreiz und Kühlpad, das muss öfter gemacht werden um einen Gewohnheitseffekt zu erzeugen.

Man kann auch die Jenny-Elvers-Regel „Heute trink ich Nichts“ auf das Kratzen umwandeln, sollte es jedoch positiv formulieren statt mit nicht. Ein Beispiel wäre „Heute nutze ich erfolgreich die Kratzalternativen“.  Das ist ein überschaubares Ziel und macht es viel realistischer und erreichbarer.

Es stellt sich noch die Frage, warum Schübe oft in der Entspannungsphase kommen.

Die Stressreaktion ist ursprünglich da, um den Körper vor Gefahr zu schützen – in der Akutsituation wäre es nicht gut, kratzen zu müssen, deshalb wird es „verschoben“.

Das Adrenalin stößt eine Cortisolreaktion an, irgendwann jedoch erschöpft das System und kann nicht mehr genug produzieren, es kommt dann in der Ruhe zur Reaktion. Zudem ist der Cortisolspiegel bei Neurodermitispatienten an sich niedrig.